Noor-un-Nisa Inayat Khan
01. Januar 1914 – 13. September 1944
Noor-un-Nisa – ihr Name bedeutet „Licht der Frauen“ – wird am Neujahrstag 1914 als erstes Kind von Hazrat Inayat Khan und seiner Frau Amina Begum, geb. Ora Ray Baker, in Moskau geboren. Ihr Titel ist Pirzadi, Tochter des Pir.
Aufgrund der russischen Revolution flieht die Familie außer Landes nach London. Hier kommen Noor-un-Nisas Geschwister: Vilayat Inayat, Hidayat Inayat und Claire (Khair-un-Nisa) auf die Welt. 1922 findet die Familie gemeinsam mit drei Brüdern Hazrat Inayat Khans in Suresnes, einem Vorort von Paris, ein Zuhause. Fazal Manzil, „Haus des Segens“ wird dieses Heim genannt. Hier erleben sie eine glückliche Zeit, geprägt von Spiritualität, Meditation und Musik. Es ist ein Platz für Sufis, die das ganze Jahr über hierher kommen.
Als Hazrat Inayat Khan auf seiner Reise in Indien stirbt und seine Frau daraufhin unter schweren Depressionen leidet, übernimmt Noor-un-Nisa im Alter von 13 Jahren, als ältestes Kind, die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister. Nach ihrem Schulabschluss studiert sie klassische Musik an der École Normale de Músique de Paris (Harfe und Klavier) und Kinderpsychologie an der Sorbonne.
1939 erscheinen in London die „Twenty Jataka Tales“ von Noor Inayat Khan. Es sind poetische Nacherzählungen berühmter Legenden zu früheren Inkarnationen des Buddha. Auch schreibt sie für die Zeitung Le Figaro auf der Kinderseite. Sie möchte eine eigene Kinderzeitung herausgeben, eine Idee, die durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, durchkreuzt wird.
Als überzeugte Pazifistin – sie benutzt ihre Waffe auch nicht während ihrer Zeit in der Résistance – und gleichzeitig tief geprägt von der Lehre ihres Vaters, entscheidet sie sich zusammen mit ihrem Bruder Vilayat, gegen den Nationalsozialismus in Deutschland zu kämpfen. Passiv zu bleiben, angesichts der Berichte über die menschenunwürdigen Zustände in den Konzentrationslagern, ist ihnen beiden unmöglich. Ebenso verbietet es ihnen die tief verwurzelte Achtung vor allen religiösen und kulturellen Traditionen und vor allen Völkern, einfach nur zuzuschauen.
Die deutsche Besetzung Frankreichs zwang die gesamte Familie zur Flucht nach England. 1940 gehen sie nach London. Noor-un-Nisa wird eine hochspezialisierte Funkerin, Vilayat Inayat tritt in die Royal Navy ein und dient später als Offizier auf einem Minenräumboot. 1942 tritt Noor-un-Nisa in Churchills Eliteeinheit Special Operations Executive (SOE) ein und unterstützt die Résistance in Frankreich. Über den Geheimdienst SOE kehrt sie im Juni 1943 als Funkerin unter dem Decknamen Madeleine nach Paris zurück. Als es sehr gefährlich wird und man sie nach London zurückholen möchte, besteht sie darauf, in Frankreich zu bleiben – als letzte Verbindung zwischen Frankreich und den Alliierten.
Ihre Schönheit wird ihr zum Verhängnis. Die Schwester eines Agenten, der mit Vilayat eng zusammenarbeitet, verrät sie aus Eifersucht und für Geld an die Gestapo. Am 13. Oktober 1943 wird sie von der Gestapo gefasst, ein Fluchtversuch scheitert, sie wird in ein Gefängnis nach Pforzheim geschickt. Sie wird gefoltert, muss hungern, wird geschlagen – fast ein Jahr lang. Es gibt auch Informationen, dass sie im Konzentrationslager Struthoff gewesen sein soll und von dort nach Dachau gebracht wurde, wo sie am 13. September 1944 ermordet wird. Ihre letzten Worte waren Liberté, bevor sie im Alter von 30 Jahren sterben musste.
Ihr Bruder Hidayat Inayat Khan komponierte für sie: „La Monotonia Suite, Symphonique Op. 7.“
Dazu schrieb er: Mögen die Noten dieser Musik die Zuhörer daran erinnern, dass einige Seelen ihr Leben geopfert haben, sodass wir in der Lage sind, laut zu rufen: „Es lebe die Freiheit von Körper, Herz und Geist …“.
Noor-un-Nisa hinterlässt tiefe Eindrücke bei allen Menschen, die ihr begegnen. Berührt sind sie von ihrer Freundlichkeit, ihrer Liebenswürdigkeit und ihrem Mitgefühl, aber auch von ihrer Stärke und ihrem Mut. Pir Vilayat sah in ihr den Archetyp des weiblichen Ritters verkörpert: Er sagte: „Ihr Geist lebt weiter, wann immer der Ruf nach Freiheit unsere Tapferkeit aufrüttelt.“
So ist Noor-un-Nisa auch in unserer Zeit ein zutiefst bewundernswertes Vorbild an Zivilcourage. Sie ermutigt uns, für unsere Ideale einzustehen und die Fackel in der Dunkelheit hochzuhalten.
Am 05. Februar 2018 wurde Hazrat Pirzadi-Shahida Noor-un-Nisa Inayat Khan von Pir Zia Inayat-Khan in die Einweihungslinie (Silsila) des Inayati-Orden aufgenommen. In der feierlichen Erklärung heißt es:
„In Anbetracht der Aussage von Hazrat Inayat Khan: ‘Ich sehe es so klar wie Tageslicht, dass die Zeit kommen wird, da die Frauen die Menschheit auf eine höhere Entwicklungsstufe führen werden’ und in Anbetracht der Tatsache, dass Pirzadi Noor-un-Nisa als hingebungsvolle Murid ihres Vaters und Überbringerin der Tradition sich als Sufi-Autorin, Musikerin und Kriegsheldin, die als Märtyrerin im Zweiten Weltkrieg starb, ausgezeichnet hat (…) wird hiermit bekanntgegeben, dass vom heutigen Tage an der Name Hazrat Pirzadi-Shahida Noor-un-Nisa Inayat Khan in die Silsila des Inayati-Ordens aufgenommen (…) wird.”
Publikationen
Noor-un-Nisa Inayat Khan: Zwanzig Jataka Märchen.
Neufassung der Legenden über die früheren Leben Buddhas. Illustrationen: H. Willebeek Le Mair.
Den Haag 1978. www.verlag-heilbronn.de. ISBN 978-90-70104-30-6.
Noor Inayat Khan: König Akbar und seine Tochter. Geschichten aus einer Welt.
Übersetzung: Karla Reimert, Illustrationen: Natsuyo Koizumi.
Verlag Heilbronn 2016. www.verlag-heilbronn.de. ISBN: 978-3-936246-19-3.
Noor Inayat Khan: King Akbar’s Daughter. Stories for Everyone as Told by Noor Inayat Khan.
Zweisprachige Ausgabe: Französisches Original, englische Übersetzung von Sandra Lillydahl.
Suluk Press 2012. www.omegapub.com. ISBN 978-0930872922.
Noor Inayat Khan: Àede of the Ocean and Land. A Play in Seven Acts. Introduction by Pir Zia Inayat-Khan.
Suluk Press 2018. www.omegapub.com. ISBN 978 1941810-255.
Biographisches
Shrabani Basu: Spy Princess: The Life of Noor Inayat Khan. Vorwort von Pir Zia Inayat-Khan.
Stroud [u.a.]: Sutton Publishing, 2006. www.omegapub.com. ISBN 978-0-7509-3965-2.
Jean Overton Fuller: Noor-un-Nisa Inayat Khan.
East-West Publications Funds
Laurent Joffrin: Die vergessene Prinzessin.
Bastei Lübbe 2005. ISBN-13: 978-3404921768
A.U. Pendragon: Codename Madeleine.
Verlag: Publishamerica 2009. ISBN-13: 978-1615463039
Video „Time watch The Princess Spy World War II“ BBC. Dokumentation in 5 Teilen.
TV Dokumentation (44 Minuten) über Noor-un-Nisa Inayat Khan.
www.verlag-heilbronn.de/autorinnen/noor-un-nisa-inayat-khan
Einige Gedenkstätten
- Gedenktafel in Suresnes bei Paris, am Eingang zum ’Fazal Manzil‘, dem Haus ihrer Familie.
- Ein begrünter Platz in Suresnes ’Cours Madeleine‘.
- Grundschule ’École Noor Inayat Khan dite Madeleine‘ in Suresnes.
- Gedenktafel für Noor Inayat Khan (gemeinsam mit drei anderen britischen SOE Kämpferinnen) im Krematorium des Konzentrationslagers Dachau
- Im Jahr 2013 wurde in Londons ’Gordon Square‘, in der Nähe ihres Wohnhauses (Taviton Street) feierlich eine Büste mit Gedenktafel enthüllt.
Widmungen
- H-Moll-Messe 1996 im Konzentrationslager Dachau, dirigiert von Pir Vilayat Inayat Khan
- Tarek Fatah widmete ihr sein Buch: „The Jew is not my Enemy“
- Noor-un-Nisa ist die Schirmherrin der von Pir Zia Inayat-Khan am 13. September 2010 neu begründeten ’Knighthood of Purity‘ (’Ritterschaft der Reinheit‘) www.knighthoodofpurity.org.
(Anlass war der 100. Jahrestag von Hazrat Inayat Khans Reise in den Westen.)